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Titel
9. November: Rede von Bürgermeisterin Bettina Weist
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Einleitung
Gedenkveranstaltung an der Stele in Wittringen: Heute Nachmittag haben wieder viele Gladbeckerinnen und Gladbecker an die Opfer des Nationalsozialismus gedacht und an die Verbrechen des Nationalsozialismus rund um den 9. November 1938 erinnert. Die Rede der Bürgermeisterin im wortlaut.
Haupttext

Sehr geehrte Frau Neuwald-Tasbach, liebe Judith,

sehr geehrte Frau Sarazinski,

liebe Mitglieder des Bläserensembles unserer Musikschule,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

seit 34 Jahren treffen wir uns alljährlich am 9. November um zu trauern, zu erinnern und zu mahnen.

Begründet wurde diese wichtige Tradition am 9. November 1988, dem 50. Jahrestag des Nazi-Pogroms gegen die Juden in Deutschland. 

Denn das Ereignis, an das wir uns immer wieder erinnern sollten, geschah in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. 

Die Scheiben der Geschäfte und Wohnungen unserer jüdischen Mitbürger „klirrten“ in diesen Stunden. 

So sagte es die nationalsozialistische Propaganda nachher.

Menschen wurden aus dem Schlaf gerissen, misshandelt und verhaftet. 

Die Synagogen und Betsäle unserer jüdischen Mitbürger wurden verwüstet und angezündet.

Hier bei uns gab es keine Synagoge, wohl aber einen kleinen Betsaal für die jüdische Gemeinde im Haus des jüdischen Bürgers Max Kaufmann an der Horster Straße 54.

Die Familie Kaufmann wurde in dieser Nacht – wie alle anderen jüdischen Familien in Gladbeck auch – aus den Betten gerissen und im Gladbecker Polizeiamt eingekerkert, die Fensterscheiben wurden zerschlagen,ihr Besitz zerstört.

Kaufmann und seine Familie wurden schließlich aus Deutschland ausgewiesen. 

In Gladbeck verblieb nach der Pogromnacht lediglich eine Handvoll jüdischer Bürger. 

Ihr Weg endete – wenn es nicht gelang,Palästina, die USA oder England zu erreichen – in den Jahren 1942 und 1943 mit den systematischen Deportationen der Juden aus dem Ruhrgebiet, aus ganz Deutschland und aus den europäischen Staaten, in Theresienstadt, schließlich in Auschwitz, Majdanek und Riga.

Die NS-Zeit hat der ganzen Welt schlimmste Ereignisse beschert. 

Viele Opfer oder Nachfahren der Opfer leiden noch heute darunter. 

Ähnlich ergeht es den Kindern und Kindeskindern der Täter.

Für Deutschland war und bleibt die Zeit der nationalsozialistischen Tyrannei und Barbarei das dunkelste und abscheulichste Kapitel unserer Geschichte.

Die Ereignisse des 9. November 1938 und alle anderen Maßnahmen gegen die Juden in Gladbeck geschahen, meine sehr verehrten Damen und Herren, unter den Augen der Gladbecker Bevölkerung und mit ihrer Beteiligung. 

Bedroht, entrechtet, missachtet und gequält wurden Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt, die bis 1933 keineswegs Außenseiter, sondern anerkannte, zum Teil beliebte Mitglieder aus der Mitte der Gesellschaft waren.

Ich sage dies sehr bewusst genauso, wie dies jeder Bürgermeister der Stadt Gladbeck seit 1988 gesagt hat, ich sage dies als erste gewählte hauptamtliche Bürgermeisterin dieser Stadt.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

nur sehr, sehr wenige Gladbeckerinnen und Gladbecker hatten damals den Mut, gegen das Regime aufzustehen, Widerstand zu üben, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen.

Wir erinnern uns dabei in Gladbeck natürlich an Mathias Jakobs und Franz Zielasko, wir erinnern uns an Josef Helmus und Kaplan Poether.

Wir erinnern uns in Deutschland an die Mitglieder der Weißen Rose, wir erinnern uns an die Männer des 20. Juli um General Stauffenberg, wir gedenken des kirchlichen Widerstandes um beispielsweise Dietrich Bonhoeffer, des Widerstandes der Gewerkschaften, der Kommunisten und Sozialdemokraten.

Und so mutig und tapfer, so vorbildhaft diese Männer waren, eine Frage stellt sich:

Wo waren die Frauen im Widerstand?

Gab es sie, bis natürlich auf Sophie Scholl, nicht oder wurde ihre Geschichte einfach lange nicht erzählt?

Letzteres ist der Fall.

Denn: Vor allem in den für die Aufarbeitung unserer Geschichte so wichtigen Nachkriegsjahren fällt die Würdigung vieler Hitler-Gegnerinnen ideologischen Aspekten zum Opfer.

Frauen und Widerstand, 

Frauen, die sich in Politik einmischen und eine eigene Meinung haben - das waren Frauenbilder, die - egal, ob während oder nach dem Krieg - einfach nicht zusammenpassten.

Auch in Gladbeck gab es Frauen, an die wir uns erinnern müssen, deren Andenken wir ehren sollen:  Die Brauckerinnen Emma Thyrock und Sophie Fitjer waren zwei von ihnen. 

Sie engagierten sich im Widerstand gegen die Nazis mit sozialdemokratischen Flugblättern, verbüßten dafür mehrjährige Haftstrafen.

Auch ihr Einsatz muss uns unvergessen bleiben.

Und wie wichtig diese weibliche Seite des Protestes ist, das, meine sehr geehrten Damen und Herren, erleben wir auch in der Gegenwart.

Mutige Frauen stehen im Iran gegen einen Unrechtsstaat auf, organisieren einen landesweiten Protest, wollen mit ihrem Einsatz das Regime zu Fall bringen.

Unsere Gedanken, unsere Hoffnungen und unsere guten Wünsche begleiten sie.

Und auch in Russland ist der Mut, gegen Kriegstreiber Putin aufzustehen, in vielen Teilen weiblich.

„Diese Frauen fürchtet Putin“, so titelte die WAZ vor einigen Tagen.

Beschrieben wurden ganz unterschiedliche Frauen:

Von Moderatorinnen, Künstlerinnen und Aktivistinnen, die nach ihrem Protest verschleppt und inhaftiert wurden bis hin zu Nina Baginskaja,  die immer wieder als „letzte Demonstrantin“ von Minsk bezeichnet wird.

Und obwohl nicht eine alleine Putin und diesen wahnsinnigen Krieg wird stoppen können, ist es doch wichtig, dass wir Frauen unsere Stimme erheben, dass wir uns einsetzen für eine gerechte, demokratische und menschliche Welt.

Ja, dass wir Verantwortung für unsere Gesellschaft, für unser Zusammenleben übernehmen!

Das tust Du, liebe Judith Neuwald-Tasbach, seit vielen Jahren.

Du bist die erste weibliche Vorsitzende der Jüdischen Synagoge Gelsenkirchen, Gladbeck, Bottrop, sorgst seit vielen Jahren dafür, dass jüdisches Leben nicht in Vergessenheit gerät, wirbst mit vielen Projekten für Verständigung und ein gutes Miteinander.

Dafür danke ich Dir auch ganz persönlich von Herzen und freue mich auf Deine Worte bei der heutigen Gedenkveranstaltung.

Besonders freue ich mich jetzt aber auf Viktoria Sarazinski, Gesangslehrerin der Jüdischen Gemeinde, die gleich zwei Titel für uns singen wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

im Jüdischen heißt es:


„Das Vergessenwollen verlängert das Exil. Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.“

Wir in Gladbeck wollen uns erinnern.

Deshalb:

Ihnen allen einen herzlichen Dank für Ihr Kommen,

Ihr Gedenken und Ihr Erinnern.

Beginndatum
09.11.2022


Veranstaltungstipp

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